In diesem Blogbeitrag dokumentiere ich meinen heutigen Workshop, der im Rahmen der Digitagung der Initiative Technik Zukunft in Bayern stattfand. Die Tagung stand dieses Jahr unter dem Motto „Teaching Twin Transition: Digitalität und Nachhaltigkeit“. Für den Workshop habe ich mit einigen neuen Ansätzen experimentiert und mich dabei vor allem von den interaktiven Trainingsmethoden von Sivasailam Thiagarajan (Thiagi) inspirieren lassen.
Ziel und Rahmen des Workshops
Der zweistündige Workshop richtete sich an Lehrkräfte von weiterführenden Schulen in Bayern. Sie sollten ein „Methoden-Update“ erhalten. Es ging also um methodische Inspirationen für selbstbestimmtes, kreatives und kollaboratives Lernen.
Da man Methoden nicht gut theoretisch vermitteln kann, sondern sie am besten praktisch ausprobiert, haben wir genau das gemacht. Die Lehrkräfte waren in der Rolle von Lernenden, die sich das Thema „methodische Gestaltung von Lernen in einer veränderten Lernkultur“ mit den von mir vorbereiteten Methoden erarbeiteten. So konnte selbstbestimmtes, kollaboratives und kreatives Lernen zugleich praktisch erlebt werden.
Alle Methoden können auch einzeln genutzt und inhaltlich vielfältig angepasst werden. Für einen Gesamtüberblick ist hier meine (sehr, sehr einfache) Präsentation, die hauptsächlich den Zweck erfüllte, dass die Teilnehmenden die Anleitungen bei Bedarf immer noch einmal nachlesen konnten.
Energizer zum Einstieg: Schnick-Schnack-Schnuck mit Fan-Parade
Ich wollte mit einem sehr aktivierenden Energizer starten und entschied mich für Schnick-Schnack-Schnuck mit Fan-Parade.
Hier ist eine Anleitung:
- Die Teilnehmenden spielen zunächst in Zweierteams gegeneinander Schnick-Schnack-Schnuck. Es gelten die einfachsten Regeln: Es gibt nur Schere, Stein und Papier.
- Die Person, die gewinnt, sucht sich eine neue gegnerische Person aus dem Kreis der Teilnehmenden. Die unterlegene Person verwandelt sich in ihren größten Fan und läuft ihr ab dann laut jubelnd und anfeuernd hinterher.
- Das Spiel endet, wenn nur noch zwei Personen übrig sind, die gegeneinander in einem letzten Match antreten – und dabei von ihren zuvor „eingesammelten“ Fans bejubelt werden.
Ich mag das Spiel, weil es super einfach ist, sehr schnell gute Laune verbreitet, alle munter macht und die Stimmung für den folgenden Workshop setzt: Wir können uns gegenseitig über Erfolge freuen!
Kaltstart: Domino-Orientierung
Nach solch einem Energizer würde normalerweise ein mindestens kurzes, frontales Intro folgen, in dem ich die Ziele des Workshops und auch mich selbst vorstelle. Außerdem gibt es meistens organisatorische Fragen zu klären: Machen wir eine Pause? Muss ich mitschreiben? Was benötige ich während des Workshops? …
Um den Workshop dieses Mal direkt „von mir weg“ zu gestalten und die Verantwortung in die Hände der Lernenden zu legen, habe ich all diese Infos stattdessen in ein „Domino“ gepackt. Auf DIN-A4-Zetteln stand jeweils in der unteren Hälfte eine Frage, die dann in der oberen Hälfte des nächsten Zettels beantwortet wurde. Die einzelnen Zettel lagen kunterbunt durcheinander gemischt auf den Tischinseln im Raum. Die Aufgabe lautete: Setzt das Domino kollaborativ zusammen!
Diese Übung hat sehr gut funktioniert. Alle lasen ihre Fragen und suchten bei anderen nach den passenden Antworten bzw. überlegten, wo sie mit ihrem Zettel andocken konnten. Schließlich war das Domino fertig gelegt, die Gruppe hatte ihr erstes Erfolgserlebnis und alle wussten über den Workshop Bescheid.

Auf der Meta-Ebene haben wir kurz reflektiert, wozu wir diese Methode transferieren könnten. Neben einer Nutzung zum Einstieg wie bei uns, erschien uns das auch zum Abschluss von Lerneinheiten und zur Rekapitulation des Gelernten hilfreich. Und natürlich könnte solch ein Domino auch von den Lernenden selbst erstellt werden.
Vorstellung und Kennenlernen: Daten-Visualisierung und Austausch
Für die nächste Methode hatte ich Stifte und Papier auf den Tischen verteilt. Die Aufgabe lautete, eine „Vorstellung“ zu zeichnen und dabei vorgegebene Merkmale für die Form, die Farbe und die Größe zu nutzen:
- Farbe: Was ist für dich die wichtigste Kompetenz im Kontext von Nachhaltigkeit und Digitalisierung
- Grün: Selbstlernkompetenz
- Rot: Fähigkeit zur Kollaboration
- Gelb: Kreativität
- Form: Mit welcher „Brille“ kommst du vorrangig zum Workshop?
- Quadrat: Digitalisierung
- Kreis: Nachhaltigkeit
- Dreieck: Sowohl als auch
- Größe: Wie sehr bist du im Workshop präsent?
- klein: Ich habe sehr viel anderes im Kopf / bin tendenziell abgelenkt.
- groß: Ich bin voll und ganz dabei!

Zum Kennenlernen schrieben die Teilnehmenden noch ihren Namen auf ihr Blatt und bewegten sich damit durch den Raum. Das Ziel war es, mit mindestens drei anderen Menschen ins Gespräch zu kommen und dabei jeweils die Gründe für Unterschiede in der Darstellung zu erfragen. (Beispiel: Deine Form ist viel kleiner als meine. Warum bist du denn tendenziell abgelenkt? Du hast ein Quadrat gezeichnet und ich einen Kreis: Was machst du denn im Kontext von Digitalisierung? …). Als Bonus-Aufgabe durfte man sich mit den Personen abklatschen, die (fast) das gleiche Muster gezeichnet hatten wie man selbst.
Auf diese Daten-Visualisierungs-Idee zum Einstieg kam ich übrigens über einen LinkedIn-Beitrag von Jördis – und habe mich gefreut, so etwas direkt mal ausprobieren zu können.
Auch hier haben wir viele Transfer-Möglichkeiten der Methode überlegt – insbesondere nicht nur als Einstieg zum Kennenlernen, sondern auch zur Darstellung von Vielfalt in einer Lerngruppe oder einer Veranstaltungs-Evaluation. Man kann mit der Methode beliebig spielen – und hat immer mindestens die Ebenen Farbe, Form und Größe zur Auswahl, die man beliebig gestalten kann.
Inhaltliche Auseinandersetzung: Konzepterschließung
Die nächste Methode stellte eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den drei Konzepten des Workshops dar: Kollaboration, Kreativität und Selbstermächtigung der Lernenden. Hier habe ich mich besonders gefreut, dass es sehr gut geklappt hat, auf klassischen Input zu verzichten. Stattdessen erhielt jede Kleingruppe mehrere Konzepterschließungsaufgaben zu je einem Konzept:
- einen kurzen Text, der in eigenen Worten zusammengefasst werden sollte.
- die Herausforderung, das Konzept ausgehend von einer Ausgangsthese mit 6-Warum-Fragen zu hinterfragen. Beispiel: Kreativität ist eine Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert. -> Warum ist Kreativität eine Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert? Weil es neue Antworten auf große Herausforderungen braucht? -> Warum braucht es neue Antworten? …
- die Aufgabe, Synonyme und Antonyme zum jeweiligen Begriff zu finden.
- die Aufgabe, das Konzept kleinschrittiger zu zerlegen, indem man eine Mindmap drumherum gestaltet.
- die Einladung zu einem Kopfstand: Was wäre das dümmstmögliche, was man machen könnte, um die Entwicklung des Konzepts garantiert zu verhindern?
- die Frage nach einem Praxisbeispiel aus der Schule für das jeweilige Konzept.
Hier ist das Beispiel für Kreativität:
Insbesondere durch die Bereitstellung des Textes war es den Kleingruppen möglich, diese Konzepterschließungsaufgaben zu bearbeiten, auch wenn vielleicht noch keine oder nur wenig Vorkenntnisse zum Thema vorhanden waren. Die Aufgaben zielen ansonsten vor allem auf das Anknüpfen an Vorerfahrungen und Wissen.
Die erarbeiteten Inhalte wurden dann in Form eines Gruppenpuzzles mit den anderen Gruppen geteilt.
Für den Transfer eignen sich solche Konzepterschließungsaufgaben sicherlich auch sehr gut im Rahmen des Flipped-Classroom-Modells. Lernende haben sich dann zuvor schon Inhalte erarbeitet und können darauf gemeinsam aufbauen.
Ideenentwicklung 1: Wettstreit im Umschlag
Nachdem wir uns die drei Konzepte genauer erschlossen hatten, standen wir als nächstes vor der Frage der Umsetzung: Wie gestalten wir Lernen mit Kollaboration? Wie gestalten wir Lernen mit Kreativität? Und wie ermächtigen wir Lernende zur Übernahme der Verantwortung für ihre Lernprozesse?
Wir gestalteten diese Ideenentwicklung mit einem klassischen Brainstorming – und einem spielerischen Wettstreit:
- Jede Kleingruppe erhielt einen leeren Briefumschlag mit einer der drei Fragen. Die Aufgabe war es, so viele und so gute Ideen wie möglich in vier Minuten zu entwickeln, auf Karten zu notieren und in den Umschlag zu stecken. Auf den Rückseiten der Karten wurde ein „Gruppensymbol“ aufgezeichnet (Kreis, Dreieck, Viereck …).
- Nach Ablauf der Zeit wurden die Umschläge im Uhrzeigersinn weitergegeben und Ideen zur nächsten Frage entwickelt.
- Nachdem Ideen für alle drei Fragen entwickelt waren, wurden die Umschläge noch einmal weitergegeben – und die Gruppen durften nun je einen Umschlag (mit ziemlich vielen Ideen darin!) öffnen. Ihre Aufgabe war es, die fünf besten Ideen zu kuratieren und diese dann im Plenum vorzustellen.

Für das spielerische Element wurden die kuratierten Karten danach umgedreht und mithilfe der dort zu findenden Gruppensymbole zusammengezählt, welche Gruppe insgesamt die meisten der schließlich ausgewählten Ideen beigesteuert hatte. Sie erhielt großen Applaus!

Ich mag diese Art der Ideensammlung und -kuratierung sehr. Kritisch wurde angemerkt, dass es für manche Teilnehmenden schwierig sein könnte, dass ihre Idee nicht in der Auswahl berücksichtigt wird. Hier kann zum einen helfen, später auch nicht-ausgewählte Ideen zu dokumentieren. Zum anderen sollte deutlich gemacht werden, dass gerade aus einem Überfluss an Ideen neue und gute Ideen entstehen können. Der gesamte Prozess ist also wichtig – und zu diesem haben alle einen Beitrag geleistet.
Ideenentwicklung 2: 35er-Countdown
Da ich die Auswahl und Bewertung von entwickelten Inhalten in den Händen der Lernenden als sehr zentral für eine veränderte Lernkultur erachte, wollte ich noch eine zweite Methode in diese Richtung ausprobieren lassen. Dazu wurden dieses Mal individuell Ideen entwickelt (= eine Idee, die Lernen freudvoller macht, mit einem Gegenstände-Brainstorming). Die Ideen wurden auf Karten geschrieben, deren Rückseite ich vorher vorbereitet hatte.

Die Teilnehmenden bewegten sich nun durch den Raum. Wenn sie eine andere Person trafen, stellten sie sich gegenseitig ihre Ideen vor – und durften dann 7 Punkte auf die Ideen verteilen (z.B. eine Idee bekommt 4 Punkte, die andere 3 Punkte. Oder eine Idee bekommt 7 Punkte, die andere 0 Punkte …). Die Zahl wurde auf die Rückseite eingetragen. Dann wurden Karten getauscht und das nächste Gespräch gesucht. Insgesamt gab es 5 Runden. Eine Karte konnte also maximal 35 Punkte erhalten.

Wenn alle Karten fertig bewertet waren, nahmen alle Platz und ich zählte von 35 herunter. Wessen Karte eine von mir genannte Zahl hatte, stand auf. Ich zählte herunter, bis 5 Personen standen (= die bestbewerteten Ideen). Diese wurden laut im Plenum vorgelesen.
Diese Methode erinnert mich sehr stark an das Crowd-Sourcing der Liberating Structures. Durch die „Verhandlung“ über die Punkte finde ich sie noch gewinnbringender. In ähnlicher Weise habe ich die Methode auch papierfrei mit dem Tool Brainstormrank umgesetzt (vielleicht gestalte ich hier noch eine Variante mit der Punkte-Aufteilung statt nur „besser“ oder „schlechter“).
Argumentationstraining: Pro und Kontra Kugellager
Von der Ideenentwicklung sind wir als nächstes noch zu einer Argumentations-Trainings-Methode gekommen. Der Hintergrund war hier, dass Ideen allein ja nicht viel helfen, wenn man nicht auch Menschen überzeugen kann, diese umzusetzen. Um genau das zu unterstützen, haben sich die Teilnehmenden auf zwei Seiten einer Schnur aufgestellt: die Menschen auf der einen Seite schlüpften in die Rolle von „Blockierern“. Sie sind der Ansicht, dass Lernen so bleiben kann und sollte, wie es schon immer war. Die Menschen auf der anderen Seite waren Veränderungsagenten. Sie finden es wichtig, dass Lernkultur grundlegend verändert wird.
Die Methode funktionierte dann wie folgt:
- Die jeweiligen Gruppen beratschlagten für sich, was gute Argumente für/gegen Veränderung sein könnten.
- Sie trafen sich zu einem Paar-Streitgespräch mit einer Person aus der anderen Gruppe.
- Danach kamen die Gruppen wieder zusammen und schärften ihre Argumente.
- Es gab ein weiteres Paar-Streitgespräch.
- Zum Abschluss reflektierten wir gemeinsam, was vor dem Hintergrund der erlebten Rollenspiele gute und überzeugende Argumente für Veränderung sein könnten.
Ich mag diese Methode sehr gerne – vor allem dann, wenn Menschen mit dabei sind, die ganz bewusst ihre Rolle übertreibend spielen – und so Raum für Reflexion und Lernen schaffen.
Rekapitulation: „Das ist noch gar nichts!“
Zum Abschluss eines Workshops finde ich es wichtig, dass Raum da ist, das Gelernte zu rekapitulieren. Zweitens ist es gut, wenn konkret etwas aus Workshops entsteht. Dazu ist es hilfreich, sich eine konkrete Sache zu überlegen, die man am besten direkt in den nächsten Tagen angehen will. Unterstützt werden können diese Ziele mit der Rollenspiel-Methode „Das ist noch gar nichts!“:
- Stellt euch vor, ihr trefft in drei Monaten zufällig drei Teilnehmende dieses Workshops auf der Straße.
- Ihr kommt miteinander ins Gespräch darüber, was ihr aus dem Workshop mitgenommen und umgesetzt habt.
- Versucht dabei bewusst zu übertreiben und euch gegenseitig zu übertrumpfen: „Das ist ja noch gar nichts!“
Die Diskussion endete nach der vereinbarten Zeit. Bei uns waren es 4 Minuten.
In einem kurzen „Silent Thinking“ überlegten sich dann alle Teilnehmenden ihren nächsten, konkreten Schritt.
Feedbackrunde: Stand-Up Blitzlicht
Damit waren wir dann schon beim Ende des Workshops angekommen. Um das typische Blitzlicht zu verhindern, bei dem viel wiederholt wird, machten wir ein „Stand-Up Blitzlicht“. Dazu standen alle auf. Eine Person begann und teilte eine Überlegung und nahm dann Platz. Wer etwas sehr Ähnliches gesagt hätte, nahm zeitgleich Platz. Wer weiterhin stand, sagte den nächsten Punkt. So ging es weiter, bis alle wieder saßen – und wir den Workshop mit Applaus für alle für ein sehr erfolgreiches, gemeinsames Lernen beenden konnten.
Fazit
Ich habe den Workshop als sehr stimmig und gut funktionierend erlebt, weil er sehr konsequent die Verantwortung zum Lernen auf die Lernenden überträgt – und dazu kollaborative und kreative Räume öffnet. Mit den Methoden werde ich sicherlich noch weiter experimentieren. Ich kann sie nach den heutigen Erfahrungen sehr zur Weiternutzung empfehlen.
Viel Freude und Erfolg beim Lernen und Erkunden!
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