Ende April habe ich meine Edumail unter dem Titel ‚Bei Bildung geht es ums Lernen‚ geschrieben. Unter anderem habe ich darin den Begriff der Mathetik (= die Wissenschaft vom Lernen) erwähnt und dazu aufgerufen, in unserer pädagogischen Tätigkeit mehr aus der Perspektive des Lernens und nicht nur des Lehrens auf die Bildung zu blicken. Das Team des im Aufbau befindlichen Projekts Lernwelt Sachsen-Anhalt hat mich daraufhin dazu eingeladen, mit ihnen einen Workshop zu gestalten, in dem wir gemeinsam über das Lernen lernen. Dieser Workshop fand gestern (= Mitte Juni 2025) statt und hat aus meiner Sicht gut geklappt. In diesem Blogbeitrag teile ich das Konzept des Workshops zum Weiternutzen.
Rahmenbedingungen
Wir waren beim Workshop rund 15 Personen und hatten ungefähr 3,5 Stunden Zeit. Das war für einen ersten Aufschlag sehr passend. Das Konzept lässt sich sicherlich auch mit mehr Menschen durchführen. Eine Kurzversion könnte auch in nur einer Stunde stattfinden. Mehr Zeit ist natürlich immer schön!
Grundsätzliche Herangehensweise
Es wäre ziemlich widersinnig über das Lernen zu lernen, indem gelehrt wird. Mein Anspruch war stattdessen, insbesondere auch dadurch über das Lernen zu lernen, indem man solch eine bewusste Lerngestaltung anstelle eines klassischen Lehrens praktisch miterleben kann.
Herausfordernd ist dann, dass in solch einem Setting trotzdem Impulse wichtig sind. Denn das Ganze sollte ja nicht nur rein auf persönlicher Erfahrung basiert stattfinden. Zugleich wollte ich auch ‚Fährten legen‘, die mathetische Grundideen aufgreifen und die sich die Beteiligten dann aneignen können.
Der Kern: Vom Lernen ausgehen & pädagogisch reflektieren
Wir starteten den Workshop mit einem biographischen Erzählen mit der Methode Zuhörer*in/ Redner*in: Alle erhielten dazu eine Karte. Bei rund einem Drittel war die Rolle Redner*in aufgedruckt; beim Rest Zuhörer*in. Die Zuhörer*innen versammelten sich ungefähr gleichmäßig um die Redner*innen. Diese hatten dann eine Minute Zeit, um von positiven und/ oder negativen eigenen Lernerfahrungen zu berichten. Dann erhielten andere Personen die Redner*innen-Karten und die Gruppen wurden neu gemischt. Insgesamt führten wir drei Runden durch.
Auf dieser Grundlage hatten alle einige Ideen und Einschätzungen zum Lernen von sich und anderen im Kopf. Wir konnten daraufhin Kleingruppen bilden. Die Aufgabe war, gemeinsam eine Mindmap zum Thema Lernen zu erstellen.
Nach einigen Minuten unterbrach ich die Reflexionen und stellte meine vorbereiteten ‚mathetischen Fährten‘ vor. Demnach ist gutes Lernen immer offen (= wir wissen am Anfang noch nicht, was entsteht), vernetzt (= wir schließen an Vorerfahrungen an), spannend (= wir können uns immer tiefer in ein Geheimnis hinein begeben – nicht einfach nur ein Puzzle lösen), mühsam (= es erfordert Disziplin, aber auch das kann eine freudvolle Erfahrung sein), ganzheitlich (= es entwickelt sich die ganze Person), ambitioniert (= das Ziel ist gesellschaftliche Handlungs- und Veränderungsfähigkeit, wozu eben insbesondere auch die Kompetenz zum Lernen gehört) und kollaborativ (= ich begebe mich beim Lernen in Resonanz mit mir selbst, mit der Welt, aber vor allem auch mit anderen)

Nach dieser kurzen Unterbrechung waren die Teilnehmenden dann eingeladen, an ihren Mindmaps weiterzuarbeiten und dabei – falls aus ihrer Sicht stimmig und sinnvoll – auch diese Impulse mit zu berücksichtigen.
Dieses Vorgehen empfand ich als sehr stimmig. Ich denke, dass die mathetischen Fährten auf diese Weise deutlich besser angeeignet, weil vernetzt werden konnten, als wenn ich mit einem klassischen Vortrag eingestiegen wäre.
Anschließend ging es um eine gegenseitige Vorstellung der Mindmaps in Form eines Gruppenpuzzles. Zuvor habe ich allerdings noch drei weitere Begriffe vorgestellt, die pädagogisches Handeln mit einführten:
- Radikale Gegenwart: Diese gilt es in die Bildung zu holen und Lernende damit zu konfrontieren, damit überhaupt Impulse zum Lernen entstehen.
- Sichtbarkeit und Reflexion: Es ist entscheidend, Lernen sichtbar zu machen und Lernende bei einer Reflexion darüber zu unterstützen.
- Selbstwirksamkeit: Es geht darum, dass Lernende sich durch ihr Lernen als wirksam erleben. Das gilt es pädagogisch zu unterstützen.
- (Räume und Struktur: Lernen muss durch ‚guten Rahmenbau‘ gestaltet und ermöglicht werden. Diese Karte fiel bei uns weg, weil wir nur drei Gruppen hatten)
Nach der Kurzvorstellung erhielt jeder Tisch einen Begriff und verständigte sich kurz dazu. Anschließend konnten in zwei Runden Teilnehmende zu den anderen Tischen ausschwärmen. Eine Person blieb jeweils sitzen und berichtete über die in ihrer Gruppe entwickelte Mindmap. Die ausgeschwärmten Personen kommentierten mit der Brille ihres jeweiligen Begriffs, wie das vorgestellte Lernen mit ‚radikaler Gegenwart‘, Sichtbarmachung und Reflexion sowie Selbstwirksamkeit unterstützt werden könnte.
Weiterarbeit: Peer Beratung oder Ideen-Entwicklung
Nach der oben vorgestellten intensiven und kollaborativen Erarbeitung des Thema ‚Lernen‘, lässt sich der Workshop auf unterschiedliche Art und Weise fortsetzen.
Eine Idee wäre es, hier eine kollegiale Beratung (zum Beispiel in Form eines Troika Consultings) anzuschließen. Jede Person würde dann jeweils für sich aufschreiben, mit welchen Aspekten sie bei solch einem Lernen in ihrer pädagogischen Rolle hadert – und sich dazu Peer-Feedback holen.
Wir sind gestern stattdessen so vorgegangen, dass wir aufbauend auf den Diskussionen zum Lernen ‚Wie können wir?‘-Fragen formuliert haben, die gerade auch aus Sicht des im Aufbau befindlichen Projekts der Lernwelt Sachsen-Anhalt relevant sein könnten. Diese konnten dann mit Klebepunkten priorisiert werden und waren dann Grundlage für ein Mini-Barcamp am Nachmittag.
Im Anschluss daran haben wir in einem Brainwriting individuell Ideen aufgeschrieben, was nun erste Schritte sein könnten – und diese dann in einem kollaborativen Austausch priorisiert. Auf diese Weise gibt es nun ein gemeinsam abgestimmtes Set an Ideen, an denen gemeinsam weiter gearbeitet werden kann.
Fazit
Beim Aufschreiben meines Vorgehens klingt das Konzept für mich schon fast zu einfach. Bei der Durchführung habe ich es allerdings als sehr intensiv erlebt. Der wichtigste Schritt ist dazu aus meiner Sicht überhaupt die Entscheidung zu treffen, sich mit solch einem Workshop Zeit für die Reflexion über das Lernen zu nehmen. Vielen Dank an das Team der Lernwelt Sachsen-Anhalt für die Einladung dazu. Außerdem viel Freude an alle, die das Vorgehen für sich remixen wollen. Ich kann es sehr empfehlen!
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