Kreativität im Kontext künstlicher Intelligenz

Fragt man Bildgenerierungstools nach „kreativen Personen“, erhält man meist Bilder von Menschen, die auf unterschiedliche Art und Weise künstlerisch tätig sind. Es sind oft Menschen, die zurückgezogen in ihren Räumen arbeiten und oft ein wenig nerdig erscheinen. Das ist wenig überraschend, denn genau das entspricht vielfach unserem Alltagsverständnis von Kreativität.

Wie hängt diese Form von Kreativität nun mit KI zusammen? Erst einmal ist das oft ziemlich ernüchternd. Denn wenn man ein KI-Modell einfach weitgehend selbst ‚künstlerisch tätig‘ sein lässt, dann kommt oft ziemlich belangloser Quatsch dabei heraus, wie zum Beispiel dieses Frühlingsgedicht von ChatGPT.

Der Prompt war hier aber auch einfach die ‚Generierung eines Frühlingsgedichts mit viel Pathos‘. Das Ergebnis wäre sicher sehr anders, wenn ich das KI-Modell nicht einfach nur hätte machen lassen, sondern es als kreatives Werkzeug verwendet hätte. Aber dann wäre es ja wiederum nicht die KI gewesen, die künstlerisch tätig gewesen wäre – sondern vielmehr ich selbst als Mensch.

In der Pädagogik halte ich die Frage, ob eine KI künstlerisch tätig sein kann oder nicht, aber ohnehin nicht für sehr relevant. Denn erstens hilft es wenig zur menschlichen Kreativität, wenn Maschinen Kunst erschaffen können. Das ist ähnlich, wie auch keine Schülerin einfach so schlauer wird, nur weil ChatGPT das bayerische Abitur besteht. Zweitens nutzen wir – im Rahmen der 4K-Kompetenzen – auch meist ein anderes Verständnis von Kreativität. Als pädagogische Kompetenz geht es bei Kreativität nicht primär um künstlerisches Tätigsein, sondern darum, Neues denken zu können.

Mit diesem Verständnis von Kreativität ist der Blick auf KI schon spannender. Denn zum einen können wir hier feststellen, dass KI-Modelle technisch erst einmal die Vergangenheit reproduzieren. Denn ihre Antworten basieren auf der Datenbasis, mit der sie trainiert wurden. Diese Datenbasis sind die im Internet verfügbaren Inhalte, die Menschen in den letzten Jahrzehnten erstellt bzw. auffindbar gemacht haben. Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass KI-Modelle eben nicht neu denken, also nicht kreativ sein können – wie es auch in diesem von ChatGPT zu diesem Thema generierten Comic zum Ausdruck gebracht wird.

Wenn man „neu denken“ aber so versteht, dass auch Menschen niemals ganz aus sich selbst heraus etwas Neues entwickeln, sondern durch Austausch und Kommunikation mit anderen Menschen und durch gezielte Anpassungen und Veränderungen von Bestehendem, dann sieht die Sache schon sehr anders aus. Diese Perspektive auf Kreativität ist die eines Remix. Remix lässt sich kurz definieren als die kreative Neuzusammensetzung oder Veränderung bestehender Inhalte, um daraus etwas Neues zu schaffen. Mit dieser Perspektive kann KI im Sinne von Kreativität schon viel mehr. Siehe dazu auch ein weiterer Comic von ChatGPT:

Mit diesem Grundverständnis von Kreativität kann dann auch die Mensch-Maschine-Interaktion, um neu zu denken, sehr produktiv werden. Denn viele Kreativitätsmethoden, die wir schon lange vor der KI-Zeit genutzt haben, um als Menschen neu zu denken, basieren auf einem Remix. Der Prototyp einer solchen Kreativitätsmethode ist die sogenannte SCAMPER-Methode. Hier wird nicht etwas ganz neu erfunden, sondern etwas Bestehendes wird auf unterschiedliche Art und Weise variiert, also remixt. Die Buchstaben von SCAMPER stehen für die unterschiedlichen Remix-Techniken:

  • R – Reverse (Umkehren / Neu anordnen): Die Reihenfolge, Richtung oder Perspektive ändern.
  • S – Substitute (Ersetzen): Teile des Produkts, Prozesses oder der Idee durch etwas anderes austauschen.
  • C – Combine (Kombinieren): Zwei oder mehr Elemente miteinander verbinden, um etwas Neues zu schaffen.
  • A – Adapt (Anpassen): Etwas Bestehendes an eine neue Situation oder einen anderen Kontext anpassen.
  • M – Modify (Verändern / Vergrößern / Verkleinern): Eigenschaften wie Form, Farbe, Funktion oder Größe ändern.
  • P – Put to another use (Anders verwenden): Etwas für einen anderen Zweck oder in einem anderen Kontext nutzen.
  • E – Eliminate (Eliminieren / Weglassen): Überflüssige Teile oder Funktionen weglassen, um zu vereinfachen.

Diese SCAMPER-Technik lässt sich wunderbar als Prompt an ein KI-Modell geben – und mit einer Situationsbeschreibung verbinden. Auf diese Weise können dann unter Zuhilfenahme der riesigen Datenbasis des KI-Sprachmodells und des eigenen im Laufe der Sozialisation aufgebauten assoziativen Netzwerks (= unsere Intuition) Ideen entwickelt und ausgewählt werden.

Ich empfinde es hier als besonders zielführend, sich selbst nicht nur in die Rolle der auswählenden Person zu setzen und das KI-Modell eine Idee nach der anderen generieren zu lassen, aus denen man dann auswählt. Stattdessen ist mein Vorgehen meist ein Brainstorming-PingPong, bei dem eine Idee vom KI-Sprachmodell kommt – und dann ich zu einer Idee herausgefordert werde. So ist man selbst viel mehr aktiv beim Kreativitätsprozess mit dabei, hört nicht auf, seine eigene Kreativität zu trainieren und nutzt trotzdem zugleich die weitergehenden Möglichkeiten von KI-Sprachmodellen.

Diese Überlegung zeigt auch schon, dass KI-Modelle im Kontext von Kreativität wie Wasser eingeordnet werden können, das eine Pflanze wachsen oder auch ertrinken lassen kann – übrigens eine Redewendung, neben vielen anderen, die ChatGPT mir als Alternative für ‚Fluch und Segen‘ vorgeschlagen und auch ein Bild dazu generiert hat.

Damit wir als Menschen im Kontext von KI bei Kreativität nicht ertrinken, sondern wachsen, braucht es aus meiner Sicht allen voran ganz viel Neugierde, um die Welt um einen herum in der Tiefe zu erschließen. Ohne diesen Prozess fehlt es mir in meinem assoziativen Netzwerk an einer eigenen ‚Datenbasis‘, die ich durch ein KI-Modell erweitern kann.

Spannend ist, dass auch dabei KI-Modelle durchaus unterstützen können – wenn sie eben nicht im Sinne von Copy & Paste, sondern als Herausforderung für einen selbst genutzt werden. Das Paradebeispiel ist hierfür, ein KI-Sprachmodell zu einem bestimmten Thema zu einem sokratischen Dialog aufzufordern. Man erhält dazu dann eben keine fertigen Antworten, sondern immer eine Frage nach der anderen, mit denen man sich selbst das Thema immer weiter erschließen kann.

Zum Ausprobieren der hier vorgestellten Überlegungen gibt es in diesem GitHub-Repository drei weiternutzbare Übungen, die ich für einen Impuls Mitte März 2025 beim Virtuellen Campus in Rheinland-Pfalz (VCRP) gestaltet habe:

  • Du kannst mit einem KI-Modell in einen sokratischen Dialog zu einer selbst gewählten Herausforderung gehen.
  • Du kannst ein Ideen-Brainstorming als PingPong starten.
  • Oder du kannst die beschriebene SCAMPER-Methode auf ein Thema deiner Wahl anwenden.

Wer das Thema noch weiter vertiefen will, findet hier auch die vollständigen Folien des Impulses, auf dem auch dieser Blogbeitrag beruht.

Jennifer Madelmond vom VCRP hat den Impuls hier auch ausführlich dokumentiert.

Richtig spannend finde ich Kreativität im Kontext von KI dann, wenn wir Lernangebote so gestalten, dass noch Haptik (zum Beispiel mit Legosteinen oder Kritzelei) und sozialer Austausch dazukommt. Dazu haben wir bei der Edunautika Ende März 2025 in Hamburg experimentiert. Auch dazu sind fünf Praxisimpulse entstanden, die gerne weiter genutzt werden können.

In diesem Sinne: Viel Freude bei ganz vielen kreativen Entdeckungen!


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