Ich bin auf der Rückfahrt vom OER-Festival in Essen. Es waren sehr schöne Tage mit einem vielfältigen Programm, ganz viel Barcamp, wunderbaren Teilgebenden und dem gewohnt professionell-sympathischen Veranstalter-Team der Agentur Jöran und Konsorten. Heute stand eine Community-Beratschlagung zu generativer Künstlicher Intelligenz (KI) und OER auf dem Programm, die ich mit konzipiert und vorbereitet habe. In diesem Blogbeitrag teilen wir das Konzept und die verwendeten Materialien zum Weiternutzen.
Der Rahmen
Für die Community-Beratschlagung hatten sich über hundert Personen angemeldet, und wir hatten rund 2,5 Stunden Zeit. Gesucht war somit ein Format, mit dem die Teilgebenden schnell und konzentriert in eine gemeinsame Diskussion und Entwicklung kommen konnten und mit dem sichergestellt war, dass die Ergebnisse gut dokumentiert und aufbereitet werden können. Unser Anspruch war zudem, einen spielerischen Ansatz zu finden, der allen Beteiligten Freude bereitet, zu möglichst kreativen Ideen führt und auch das eigene Lernen unterstützt.
Die Idee
Unsere grundsätzliche Idee war die Gestaltung einer Art strukturierten Brainstormings, bei dem sich die Teilgebenden in Kleingruppen zusammenfinden und zu aufgeworfenen Fragen gemeinsam reflektieren und Ideen festhalten können. Sie sollten dabei auch die Möglichkeit haben, auf den Ideen der anderen Kleingruppen aufzubauen und diese zu ergänzen.
Das Ziel
Das Ziel der Beratschlagung war ein möglichst umfassendes Papier zum Themenkomplex OER und generative KI, das Forderungen, Ideen und Praxisbeispiele aus der OER-Community zusammenträgt und an Entscheidungsträger*innen in Politik und Verwaltung sowie an bildungsaktive Menschen weitergegeben und von diesen genutzt werden kann. Dabei mussten wir nicht von Null anfangen, sondern konnten insbesondere auf das von Wikimedia herausgegebene Papier „Offene KI für alle!“ aufbauen.
Besonders passend war die Beratschlagung, weil zeitgleich zum OER-Festival in Essen der dritte OER-Weltkongress der UNESCO in Dubai stattfand. Am Vorabend der Beratschlagung fand unter dem Motto „Dubai Calling“ ein Live-Gespräch mit Heike (Wikimedia) und Jöran (Agentur J&K) statt, die in Dubai an der Konferenz beteiligt sind.
Unser Vorgehen zur Konzeption
Im Folgenden beschreibe ich Schritt für Schritt, wie wir bei der Konzeption vorgegangen sind. Meine Einschätzung ist, dass sich diese Konzeption immer dann gut weiter nutzen lässt, wenn in größeren Gruppen zu einer bestimmten Herausforderung diskutiert werden soll.
Schritt 1: Fragen entwickeln
Die übliche Herangehensweise an eine Herausforderung ist, dass man sich überlegt, was man daran gut findet und welche Kritik man daran hat. Leider ist das kein sehr handlungsorientierter Ansatz, weshalb wir einen anderen Weg gewählt haben: Unsere Leitfragen waren nicht die Chancen und Risiken von generativer KI aus Perspektive von OER. Stattdessen haben wir zwei *“Wie können wir …“-*Fragen formuliert:
- Wie können wir mithilfe von generativer KI unsere OER-Aktivitäten verbessern?
- Wie können wir aus einer Perspektive der Offenheit und mithilfe von OER zu einer besseren generativen KI gelangen?
Diese Fragen waren erst einmal nur die Leitfragen und mussten für die Beratschlagung konkretisiert werden. Hierzu führten wir vorab eine Flipped-Umfrage unter den Teilnehmenden durch, in der wir erstens nach drei Begriffen/Gründen fragten, was ihnen an OER und Offenheit wichtig ist. Zweitens fragten wir, welche Kritik oder Herausforderungen sie aus Offenheitsperspektive an generativer KI sehen. Die Ergebnisse der Befragung haben wir geclustert und daraus insgesamt 50 konkretisierte Fragen entwickelt. Dabei haben wir die Gründe für OER jeweils in die erste Leitfrage eingesetzt (Beispiel: Aus der Nennung „Freier Zugang zu Wissen“ wurde die konkretisierte Frage: „Wie kann uns generative KI dabei helfen, freien Zugang zu Wissen noch besser zu realisieren?“). Die Kritikpunkte haben wir zur Ausformulierung der zweiten Leitfrage genutzt (Beispiel: Aus der Herausforderung „KI produziert Bias“ wurde die konkretisierte Frage: „Wie können wir mit Offenheit und OER erreichen, dass generative KI weniger bias-behaftete Inhalte generiert?“).
Je nachdem, wie stark man die Ergebnisse einer solchen Umfrage clustert und zusammenfasst, kommt man zu mehr oder weniger konkretisierten Fragen. Da wir eine recht große Gruppe waren und 50 Umschläge mit Aufgaben zur Bearbeitung für uns ein gutes Ziel waren, haben wir nur sehr wenig zusammengefasst. Manche Fragen sind durchaus Dopplungen. Für das Spiel ist das nicht schlimm.
Wir haben diese Fragen auf A5 ausgedruckt und jeweils Platz für die Klebepunkte zur Anzeige der Bearbeitung gelassen. Diese Fragezettel wurden dann auf A5-Briefumschläge geklebt, was im Ergebnis so aussah:
Alle diese Umschläge mit den Fragen kamen an eine Pinnwand:
Hier sind die entwickelten Fragen in Textform:
Schritt 2: Klare Struktur überlegen
Wenn man das Ziel verfolgt, dass Menschen sich gut austauschen, Ideen entwickeln und voneinander und miteinander lernen können, dann ist es entscheidend, einen sehr klaren Rahmen bzw. eine Struktur vorzugeben, der dann von den Teilgebenden offen ausgestaltet werden kann. Vor diesem Hintergrund hatten wir uns ein sehr übersichtliches und klares Setting überlegt:
- Die Teilgebenden finden sich in Kleingruppen mit rund 5 Personen zusammen.
- Sie wählen sich je nach eigenem Interesse eine Frage aus.
- Sie diskutieren die Frage und halten ihre Ideen dazu auf Karteikarten fest.
Danach folgt die nächste Runde, in der sie sich wieder einen Umschlag auswählen können und diesen dann bearbeiten. Zur Bearbeitung der Aufgaben können die Teilnehmenden soviel Zeit nutzen, wie sie benötigen. Grundsätzlich orientierten wir aber auf eine schnelle Ideenentwickung.
Schritt 3: Spielerisches Setting ergänzen
Für ein bisschen Glitzerstaub beim Austausch und vor allem im Interesse einer möglichst kreativen und offenen Ideenentwicklung haben wir zu dieser Struktur ein spielerisches Setting ergänzt. Dazu erhielt jede Kleingruppe ein Spielset mit:
- einer prägnanten Spielanleitung,
- vier Rollenkarten, die zu Beginn in der Gruppe verteilt werden sollten und „Kümmerer-Aufgaben“ zuteilten,
- einem Stapel mit Kreativitätsbooster-Karten, die immer dann gezogen werden konnten, wenn in der Kleingruppe die Ideen ausgingen. Darauf waren unterschiedliche Kreativitätsmethoden angeteasert (Beispiel: Wie würdest du die Herausforderung lösen, wenn du allein auf einer einsamen Insel gestrandet wärst oder wenn du unbegrenzt finanzielle Mittel zur Verfügung hättest?).
Bei den Rollenkarten ist vor allem die Rolle der Mentorin sehr wichtig. Sie hat Zugriff zu einem Glossar, was sie natürlich auch an andere Mitspieler*innen weiter geben kann. In diesem Glossar werden Fachbegriffe, die in den Fragen genutzt werden, erklärt. Dieses Vorgehen ermöglicht es, dass die Beratschlagung nicht nur Brainstorming, sondern insbesondere für Newbies – auch Lernangebot ist. Unser Glossar haben wir auf Github veröffentlicht.
(Für die Erstellung eines solchen Glossars kann die Nutzung eines Sprachmodells sehr hilfreich sein: Man gibt dort alle entwickelten Aufgaben/ Fragen ein und ergänzt, dass daraus bitte eine alphabetisch sortierte Liste mit darin verwendeten Fachbegriffen und einer kurzen Erklärung generiert werden soll.)
Das ausgegebene Ziel lautete dann:
Wir möchten gemeinsam ein WundOERelixier brauen, mit dem wir generative KI im Interesse von OER nutzen und aus Perspektive von OER weiternutzen können. Dieses WundOERelixier entsteht, wenn wir möglichst viele Offenheits-Ideen zu den aufgeworfenen Fragen gemeinsam entwickeln!
Psst: Hinter den Kulissen!
So strukturiert, wie hier beschrieben, sind wir in der Realität natürlich nicht vorgegangen. Hier war es vielmehr so, dass wir erst die Idee für den Spielcharakter hatten und diesen ursprünglich noch deutlich stärker ausgeschmückt hatten („Schafft es die OER-Community, das böse KI-Monster in ein glitzerndes Einhorn zu verwandeln?“ 🙃). Davon ausgehend konnten wir dann Schritt für Schritt eine umsetzbare Idee entwickeln, in der sich spielfreudige Menschen genauso wiederfinden können wie Menschen, die lieber ohne Schnickschnack diskutieren wollen. Zur besseren Weiternutzbarkeit habe ich oben aber den systematischen Weg beschrieben, wie ich es jetzt machen würde, wenn ich etwas Ähnliches noch einmal konzipieren würde.
Die Durchführung
Wir haben mit einem kurzen Überblick im Plenum gestartet, in dem ich erzählerisch den Kontext der Beratschlagung erläutert habe. Das war vor allem deshalb wichtig, weil beim OERcamp erfahrungsgemäß Menschen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen, Vorwissen und Hintergründen zusammenkommen. So war sichergestellt, dass alle sich gut beteiligen können.
Anschließend haben wir zur Kleingruppenbildung aufgerufen. Die Orientierung war hier ca. 5 Personen. Diese Kleingruppen konnten sich einen Platz im Gebäude suchen, wo sie die nächsten zwei Stunden diskutieren wollten. Unser Tagungsort war das Unperfekthaus in Essen, was sich für solch ein Setting ganz wunderbar eignete, da es hier viele sehr einladende co-work-artige Bereiche zur offenen Nutzung gab.
Alle Kleingruppen nahmen ein Spielset mit. Gemeinsam konnten sie zunächst die bewusst sehr prägnant formulierte Spielanleitung lesen, dann die Rollenkarten verteilen und die Kreativitätsbooster bereitlegen, die sich beide im Spielset befanden.
Dann konnte die eigentliche Beratschlagung starten: Jede Gruppe holte sich einen ersten Umschlag mit einer darauf formulierten Frage von der Pinnwand im Plenum und sammelte gemeinsam Ideen, die ihnen dazu einfielen, notierten diese auf Karten, steckten sie in den Umschlag und brachten diesen dann zurück zur Pinnwand. Mit einem Klebepunkt wurde markiert, dass die Aufgabe bearbeitet wurde. Dann konnte der nächste Umschlag gewählt werden.
In den nächsten Runden gab es dann immer häufiger die Möglichkeit, einen Umschlag zu wählen, der bereits von einer anderen Gruppe oder auch mehreren anderen Gruppen bearbeitet wurde und deren Karten enthielt. In diesem Fall konnte man sich zunächst einen Überblick verschaffen, welche Karten es schon gab, und dann weitere Ideen ergänzen. Das Prinzip war hier ein „Ja, und …“ (= was wären darauf aufbauende Ideen?) oder ein „Ja, oder …“ (= was wäre alternativ als Idee denkbar?).
Materialien zum Weiternutzen
Die für die Community-Beratschlagung erstellten Materialien geben wir gerne unter CC0 1.0 frei, um eine möglichst einfache Weiternutzung zu ermöglichen. (CC0 bedeutet, dass kein Lizenzhinweis angegeben werden muss; über einen Verweis freuen sich die OERcamp und der Träger, die Agentur Jöran und Konsorten, natürlich trotzdem immer.)
Die Textversionen, die du für deine Beratschlagung beliebig anpassen kannst, findest du oben. Hier sind Druckdateien der Karten im Format A6.
Außerdem gibt es hier (als Gestaltungsanregung) unsere Spielanleitung. Wir haben sie auf A4 doppelseitig ausgedruckt und in der Mitte gefaltet.
Wie geht es nun weiter?
Unser Ziel war es eigentlich, dass jeder Umschlag von mindestens drei Gruppen bearbeitet werden sollte. Das haben wir nur bei einzelnen Fragen geschafft. Alle Fragen wurden aber mindestens einmal, sehr viele auch zweimal und manche auch dreimal bearbeitet. Ein erster Blick in die Umschläge zeigt, dass sich darin geballte Community-Power und sehr vielfältige und gute Ideen befinden. Unsere Aufgabe wird es nun sein, die Karten zu verschriftlichen. Wir werden unter den beteiligten Teilgebenden eine Kommentierungs- und Feedback-Schleife machen. Das fertige Ergebnis wird dann am 15. Dezember 2024 auf der OERcamp-Website veröffentlicht.
Fazit und Danke!
Zum Abschluss bleibt mir nur noch Danke zu sagen:
- an die Agentur J&K und hier insbesondere an Frank Homp für die gute Zusammenarbeit, die mir viel Freude gemacht hat,
- alle Teilgebenden, die sich begeistert beteiligt und so viele Ideen geteilt haben. Ich freue mich sehr auf die Ausarbeitung des geplanten Papiers!
- den Menschen, die erstes konstruktives Feedback zur Methode geäußert haben. Insbesondere gab es den Vorschlag, dass das Glossar, auf das die Person mit der Rollenkarte Mentor*in Zugriff hatte, interaktiv angelegt sein könnte, sodass dort auch noch während der Beratschlagung weitere unbekannte Begriffe ergänzt werden könnten.
Wenn du auch Feedback hast, dann freue ich mich, davon zu lesen. Ansonsten hoffe ich, dass wir ab dem 15. Dezember alle gut mit unserem dann fertig erstellten Papier weiterarbeiten und es verbreiten werden. Außerdem viel Freude bei einer eventuellen Weiternutzung des Konzepts und der Materialien.
Die Erstellung und Durchführung des Konzepts erfolgte im Auftrag der Agentur J&K – Jöran und Konsorten als Träger der OERcamps. Der Beitrag ‚Konzept einer Community-Beratschlagung zum Weiternutzen‘ steht unter der Lizenz CC BY 4.0. Als Namensnennung soll angegeben werden: OERcamps – durchgeführt von der Agentur Jöran und Konsorten.
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