Kollaborative Kategorisierung am Beispiel der Frage: Was ist ‚digitale Bildung‘?

Der Begriff ‘digitale Bildung’ wird häufig verwendet, aber oft nicht geklärt. In Workshops ist das eine immer wiederkehrende Herausforderung. Denn Teilnehmende kommen vor diesem Hintergrund mit sehr unterschiedlichen Erwartungen und Vorstellungen. Während einige zum Beispiel über mediendidaktische Konzepte sprechen wollen, sind andere an Fragen der technischen Ausstattung interessiert und wieder anderen geht es um spezifische Themen der Digitalisierung wie Künstliche Intelligenz.

Um dieses Begriffs- und Bedeutungs-Wirrwarr aufzulösen und darauf aufbauend in Bildungsorganisationen Strategieentwicklung im Kontext der digitalen Transformation zu ermöglichen, nutze ich gerne die aktivierende Methode der ‘kollaborativen Kategorisierung’. In diesem Blogbeitrag stelle ich sie zum Weiternutzen vor.

Wann ist die Methode geeignet?

Die Methode der kollaborativen Kategorisierung ist insbesondere dazu gedacht, Bildungsorganisationen dabei zu unterstützen, eine ‘digitale Bildungsstrategie’ für sich zu entwickeln. Eine Klärung des Begriffs ‘digitale Bildung’ ist dann ein wichtiger Bestandteil des Lernprozesses. Denn nur, wenn eine Organisation für sich geklärt hat, was sie unter ‘digitaler Bildung’ versteht, kann sie für sie passende Schritte dazu gestalten.

Der große Vorteil der Methode liegt in dem aktivierenden Ansatz: Teilnehmende bekommen nicht vorgegeben, was sie unter digitaler Bildung zu verstehen haben, sondern erarbeiten sich kollaborativ ihre eigene Antwort auf die Frage. Der weitere Verlauf des Workshops kann dann darauf aufbauen.

Damit das kollaborative Arbeiten funktioniert, sollte die Teilnehmendenzahl im Workshop nicht zu groß sein. Gut geeignet sind bis zu 15 Personen. Bei mehr Teilnehmenden können gegebenenfalls mehrere Gruppen gebildet – und dann anschließend die Ergebnisse verglichen werden.

Was muss ich vorbereiten?

Um die Methode durchzuführen, benötigt man mehrere, allgemein formulierte Aussagen zum Thema ‘digitale Bildung’. Sie sollen beinhalten, was mögliche Aktivitäten von Bildungsorganisationen zu ‘digitaler Bildung’ sein können. Die Aussagen werden z.B. auf Karten oder Post-Its gedruckt.

Ich nutze unter anderem die folgenden Aussagen (Mit ‘Wir’ sind jeweils die Menschen einer bestimmten Organisation gemeint):

  • Wir bieten Teilnehmenden an unseren Präsenzveranstaltungen im Vorfeld ‘Flipped’-Angebote, d.h. Online-Lernangebote, mit denen sie sich vorab über die Themen informieren können.
  • Wir kaufen einen Satz Tablets, die wir bei Veranstaltungen an Teilnehmende zur Nutzung ausleihen können.
  • Wir nutzen für unsere Bildungsveranstaltungen eine Software, die uns beim Teilnehmer/innen-Managment (Anmeldungen, Abmeldungen, bestimmte Wünsche, Rechnungsstellung etc.) unterstützt.
  • Wir besuchen offene Veranstaltungen wie Barcamps, um uns zu vernetzen und neue Impulse zu erhalten.
  • Wir nutzen soziale Netzwerke, um über unsere Bildungsangebote zu informieren und neue Zielgruppen zu erreichen.
  • Wir richten in unserer Organisation einen Makerspace ein.
  • Wir verändern unsere Honorarverträge/ Arbeitsverträge, um z.B. Vor- und Nachbereitungszeiten bei Online-Angeboten besser berücksichtigen zu können.
  • Wir gestalten Präsenzveranstaltungen unter Nutzung digitaler Tools. Damit können wir zum Beispiel die Kollaboration unter Teilnehmenden vereinfachen.
  • Wir verhandeln mit der Kommune über den Bau einer Glasfaserleitung für einen schnellen Zugang zum Internet.
  • Wir veröffentlichen von uns erstellte Bildungsmaterialien auf unserer Website oder auf anderen Plattformen.
  • Wir ergänzen unser thematisches Bildungsangebot um Themen wie Medienkompetenz oder digitale Souveränität.
  • Wir ermöglichen und etablieren Peer-to-Peer Lernen (= Lernen von und mit Gleichgesinnten, d.h. z.B. unter allen Mitarbeitenden in unserer Organisation) als Teil der Arbeitszeit.
  • Kompetenzen wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken spielen in unseren Veranstaltungsangeboten eine zentrale Rolle.

Die vollständige Liste meiner genutzten Aussagen findest Du in diesem GoogleDoc. Gerne kannst Du dort auch Ergänzungen vorschlagen.

Wichtig bei der Formulierung der Aussagen sind die folgenden drei Aspekte:

  1. Die Aussagen sollen nicht als Bewertung/ Vorgabe aufgefasst werden, sondern nur mögliche Schritte einer Organisation im Kontext digitaler Bildung aufzeigen. Ob sie für die eigene Organisation sinnvoll sind oder nicht, kann später diskutiert werden.
  2. Die Aussagen sollen aus unterschiedlichen Perspektiven formuliert werden (Denn es sollen ja unterschiedlichen Oberbegriffe gefunden werden können).
  3. Es soll sowohl Aussagen geben, in denen sich die Teilnehmende des Workshops selbst wieder finden können (d.h. bei eher traditionellen Organisationen auch eher traditionelle Formen der digitalen Bildung z.B. ein digitaler Reader zur Vor- oder Nachbereitung), als auch Aussagen, die das bisher bekannte Spektrum der Teilnehmenden erweitern und damit erste Ideen für ein späteres Weiterdenken bieten (z.B. ein Barcamp anstelle einer Konferenz organisieren).

Wie wird die Methode durchgeführt?

Zunächst werden alle vorbereiteten Aussagen verteilt (je nach Anzahl der Teilnehmer/innen erhält jede Person 2-4 Begriffe). Dann wird die Aufgabe für die Gruppe erläutert:

  1. Stellt Euch gegenseitig Eure erhaltenen Aussagen vor.
  2. Überlegt Euch gemeinsam, welche 3-5 Kategorien/Oberbegriffe gebildet werden könnten, um die Aussagen zu sortieren.
  3. Ordnet die Aussagen entsprechend zu. Wichtig: Jede Aussage muss einsortiert werden (und sollte in genau eine Kategorie, nicht in mehrere, am besten passen).

Als ergänzende Aufgabe kann ein ‘Fragen-Flipchart’ vorbereitet werden. Hier können Fragen notiert werden, die beim Lesen und Diskutieren der Aussagen auftauchen (z.B. ‘Was genau ist denn ein Barcamp?).

Die Herausforderung besteht in der Offenheit der Aufgabe. Denn welche Kategorien die Teilnehmenden für die Aussagen finden, ist nicht festgelegt, sondern Ergebnis des kollaborativen Prozesses. Ich habe oft festgestellt, dass ich relativ klare Kategorien zu den Aussagen in meinem Kopf habe, in die ich die Aussagen einsortieren würde (z.B. technische Infrastruktur, Didaktik, Organisationskultur), aber Teilnehmende im Workshop dann ganz andere Kategorien entwickeln.

Welche Schritte lassen sich an die Kategorisierung anschließen?

Als erster Schritt können Teilnehmende mögliche weitere Aussagen ergänzen. Außerdem werden die eventuell aufgetretenen Fragen geklärt. Darauf aufbauend lassen sich die gefundenen Oberkategorien zur Strategie-Entwicklung nutzen. Möglich ist dies zum Beispiel, indem Kleingruppen gebildet werden (pro entwickelter Kategorie eine Gruppe). In den Kleingruppen wird überlegt, wie die Organisation in der jeweiligen Kategorie aufgestellt ist und was geändert werden könnte. Gut geeignet ist dazu das Start – Stop – Continue-Raster. Nacheinander werden hier die Fragen beantwort:

  • Was wollen wir in dieser Kategorie neu beginnen?
  • Was wollen wir in dieser Kategorie beenden/ Was brauchen wir nicht mehr?
  • Was wollen wir in dieser Kategorie behalten/ fortsetzen?

(Eine leichte Abwandlung dieses Rasters ist das so genannte KALM-Raster. Hier gibt es vier Fragen: K= Keep: Was wollen wir behalten? A=Add: Was wollen wir ergänzen/ neu beginnen? L= Less: Wovon wollen wir weniger? M = More: Wovon wollen wir mehr?)

Im Anschluss an die Ausarbeitungen in der Gruppe werden die Ergebnisse im Plenum vorgestellt (oder über ein Gruppenpuzzle ausgetauscht). Anschließend werden gemeinsam mögliche Schlussfolgerungen diskutiert.

Wie lässt sich die Methode abwandeln?

Grundsätzlich lässt sich die Methode der kollaborativen Kategorisierung in allen Bereichen einsetzen, in denen ein bestimmter Themenbereich in einer Gruppe erschlossen werden soll. Auch im schulischen Kontext kann ich mir die Methode gut zum Abschluss und zur Reflexion eines behandelten Themas vorstellen. Die Schüler/innen würden dann Aussagen zu dem Themenbereich enthalten – und überlegen, in welche Kategorien sich diese Aussagen wie sortieren lassen.

An Erfahrungen, ob und wie das funktioniert, bin ich interessiert. Viel Freude beim Weiternutzen!


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