Konzept und Ergebnisse einer Ideenwerkstatt zu lernförderlicher KI-Nutzung zum Weiternutzen

In diesem Blogbeitrag stelle ich das Konzept und die Materialien für eine Ideenwerkstatt zur lernförderlichen KI-Nutzung zum Weiterverwenden und Weiterdenken zur Verfügung. Ich habe es heute beim Bildungssymposium „Die Schule von morgen heute gestalten“ an der beruflichen Schule ITECH in Hamburg-Wilhelmsburg erstmalig ausprobiert und durchgeführt. Danke an alle, die mit dabei waren, Feedback gegeben und zum Teil auch ihre individuellen Ergebnisse zum Teilen an mich weitergegeben haben!

Hintergrund und Rahmen

Mein Ziel dieser Ideenwerkstatt war die Entwicklung praxisnaher Ideen, um Lernen in einer KI-geprägten Welt gut zu gestalten. Ich wollte dabei einen konsequent lernendenorientierten Blick anregen und allen Beteiligten ermöglichen, KI-Technologie selbstverständlich im Rahmen der Ideenentwicklung und des Austauschs als Lerntool zu nutzen. Der Hintergrund war hierfür meine eigene Einschätzung: Ich finde, dass wir in so vielen aktuellen Bildungsdebatten viel zu wenig vom Lernen ausgehen – sondern vom Lehren oder der Technologie. Ich wollte vor diesem Hintergrund gemeinsam mit den Teilnehmenden erkunden, ob und wie das auch anders geht.

Wir waren in dem Workshop gut 50 Personen. Grundsätzlich lässt sich das Konzept aber auch mit mehr oder weniger Menschen durchführen. Man braucht eben ausreichend Platz, um in unterschiedlichen Konstellationen miteinander ins Gespräch und auch in Bewegung zu kommen. Zeitlich war die Ideenwerkstatt auf 90 Minuten angelegt. Länger wäre besser gewesen. Dazu später mehr beim Teil ‚Feedback‘.

Materialien und Ausstattung

Wir haben viel haptisch gearbeitet, aber genau so selbstverständlich auch digitale Medien und KI-Technologie in unser Lernen einbezogen.

Analoges Material

Grundlage für die Ideenwerkstatt war ein Mini-Zine (= ein kleines Booklet, das sich die Teilnehmenden zu Beginn selbst aus einem DIN-A4-Blatt zusammenfalten konnten). Die Exemplare waren insofern verschieden, als dass es in gleicher Anzahl Booklets mit unterschiedlichen Begriffen gab, die wir im Laufe des Workshops bearbeiteten.

Hier ist das Zine in einer Lesefassung (mit ‚leerem‘ Begriff):

Und hier in der Druckfassung zum Schneiden und Falten:

(Diese beiden Varianten zeigen dann auch schon, wie man so etwas selbst gestaltet: erst 8 Seiten entwickeln, diese als Bild speichern und dann so anordnen, wie in der Faltfassung zu sehen. Wie man so etwas faltet, steht z.B. hier)

Die Zines konnten für schnelle, individuelle Notizen genutzt werden und zeigten den groben Ablauf, boten QR-Codes zu weiternutzbaren Prompts (siehe unten beim digitalen Material) sowie den Link zu diesem Blogbeitrag für die spätere Nachbereitung.

Ausstattung

Eine klassische Präsentation gab es nicht. Stattdessen habe ich Aufgaben oder wichtige Konzepte auf einem Flipchart visualisiert.

Schließlich brauchten wir noch Pinnwände, Metaplankarten und Packpapier oder auch einfach ein Flipchart zum Beschreiben auf den Tischen in den Gruppenarbeiten. Und ausreichend Platz!

Digitales Material

In den Zines gab es – wie oben dargestellt – QR-Codes zu einem GitHub-Verzeichnis.

  1. Die Teilnehmenden fanden dort Anregungen und/oder einen Prompt zur Eingabe in ein selbstgewähltes KI-Sprachmodell, mit dem sie sich den ihnen zugeteilten Begriff erschließen konnten.
  2. Es gab eine Spielanleitung, die von einer menschlichen Moderation genutzt werden konnte. Alternativ konnte ein Prompt genutzt werden, um sich dann als Gruppe von einem KI-Sprachmodell durch das Spiel Schritt für Schritt führen zu lassen.

Der Code ist in GitHub über diesen Link zugänglich und kann gerne remixt werden. Eine Screencast-Anleitung dazu habe ich hier veröffentlicht. (In dem Screencast geht es um ein anderes Projekt, aber es ist übertragbar.)

(Mein Vorschlag, wenn du es nachmachen willst: Schau dir den Screencast an und versuche dich an einem Remix. Wenn du nicht weiterkommst, dann nimm gerne Kontakt zu mir auf!)

Ablauf des Workshops

Die Ideenwerkstatt war in mehrere Phasen eingeteilt:

1. Einfinden und Grundlagen

Wir starteten mit dem Basteln des Zines und – direkt darin integriert – ein schnelles Silent Writing zu zwei Fragen:

  • Wie definierst du im Kontext der aktuellen Debatte in der Bildung den Begriff Künstliche Intelligenz?
  • Was wäre aus deiner Sicht die dümmstmögliche KI-Nutzung zum Lernen?

Nach dem Silent Writing bewegten sich alle durch den Raum und tauschten sich mit so vielen Menschen wie möglich zu ihren Antworten aus.

Diese Phase hatte zum einen den Sinn der Gruppenfindung und des Kennenlernens. Zum anderen wollte ich allen einen guten Einstieg in das Thema bieten – auch denjenigen, die sich bis jetzt vielleicht noch weniger mit KI-Technologie auseinandergesetzt haben.

2. Perspektive auf das Lernen

Ich hatte mir im Vorfeld fünf Konzepte bzw. Begriffe überlegt, die aus meiner Sicht für eine Perspektive des Lernens in der Bildung grundlegend sind. Diese waren als Begriffe in die Zines eingetragen:

  • Radikale Gegenwart (= das Leben in all seiner Widersprüchlichkeit und Vielfalt in die Bildung holen und ausgehend davon Lernen entwickeln),
  • Agency (= eigene Anliegen entwickeln und für die Umsetzung motiviert und gestärkt werden),
  • Modellierung (= in die Umsetzung gehen und dazu auch eigene Lernprozesse gestalten),
  • Resonanz (= eine Wirkung entfalten – bei sich selbst und bei anderen)
  • Reflexion (= über die eigenen Aktivitäten und das Lernen nachdenken und es weiterentwickeln).

Diese Konzepte wirken in dieser Darstellung sehr linear. Ich habe aber versucht, deutlich zu machen, dass sie ineinander verschränkt und rotierend zu verstehen sind.

Um diese Perspektiven auf das Lernen einnehmen zu können, konnten sich die Teilnehmenden zunächst den Begriff erschließen. Sie gingen dazu in den Austausch mit Nebensitzer*innen, durchsuchten das Internet oder nutzten einen vorbereiteten Prompt nutzen.

3. Begriffsklärung und Ideenentwicklung

Anschließend fanden sich alle Beteiligten, die den gleichen Begriff im Zine stehen hatten, in einer gemeinsamen Gruppe zusammen. (Wir haben diese Gruppen oft noch einmal geteilt, da die Diskussionsrunden ansonsten zu groß geworden wären. Das können aber die Beteiligten am besten entscheiden.)

In diesen Gruppen ging es dann darum, sich zunächst über die gefundenen Begriffsdefinitionen zu verständigen und anschließend in eine Ideenentwicklung zu gehen: Was könnte man vor dem Hintergrund des jeweiligen Konzepts praktisch tun, um gutes Lernen zu ermöglichen?

Die Antworten wurden in einer ersten Phase mit dem Anspruch von Quantität zusammengetragen (= alles, was einem in den Sinn kam). Anschließend verteilte ich Metaplankarten und die Gruppen fassten ihre wichtigsten Punkte zusammen und teilten sie auf einer gemeinsamen Pinnwand. Das hier war unser erstes Ergebnis:

a) Radikale Gegenwart

  • Lernen im Hier und Jetzt – ohne Rückgriff auf Vergangenheit oder Zukunft.
  • Neustart ermöglichen – alte Muster hinter sich lassen.
  • Achtsamkeit – bewusste Wahrnehmung fördern.
  • Fehlerfreier Raum – alles darf sein, angstfreies Lernen.
  • Perspektivenvielfalt:
    • Argumente und Rollenwechsel fördern Verständnis.
  • Visualisierung:
    • z. B. Gartenprojekt
    • Raum für Ideen und Überraschungen schaffen.
  • „Radikale Gegenwart“ ↔ KI – möglicher Widerspruch.

b) Agency (Selbstwirksamkeit im Lernen)

  • Aktive Gestaltung des eigenen Lernprozesses.
  • KI als unterstützender Coach:
    • Diagnostik-Funktion.
    • Unterstützung bei Zielformulierung & Lernweggestaltung.
    • Reflexionshilfe
    • Feedbackgeber

c) Modellierung

  • KI als Lern- und Denkpartnerin.
  • Eigene Ideen mit KI entwickeln und modellieren.
  • Lösungswege sichtbar machen.
  • Transparenz:
    • Eigene und KI-Denkprozesse nachvollziehbar machen.

d) Resonanz

  • Individuelle Lernwege fördern:
    • Kreative, persönliche Lösungen und Produkte.
    • Dialogischer Lernprozess zwischen Mensch und KI.
  • KI für persönliche Beispiele nutzen:
    • Lerngegenstände an individuelle Interessen anpassen.

e) Reflexion

  • Chatbot für individuelle Lernreflexion:
    • Anpassung an verschiedene Lerntypen.
  • Ziele:
    • Reflexionstiefe steigern.
    • Schwächen erkennen.
    • Lernpläne entwickeln.
  • KI-basierte Reflexion als Lern-Booster.

4. Konkretisierung im Rollenspiel

Der letzte Schritt war ein Rollenspiel, für das wir Gruppen bildeten, in denen alle zuvor behandelten Perspektiven/ Begriffe vertreten waren. Eine Person übernahm die Moderation und eine weitere die Dokumentation. Die anderen blickten dann mit der Perspektive einer lernenden Person, einer lehrenden Person und KI/Technologie auf das Lernen. Die Frage war jeweils: Was brauche ich? Was kann ich tun? Bzw. im Fall von KI: Wie kann ich verwendet werden? Dabei wurden nacheinander die unterschiedlichen Phasen/Konzepte betrachtet, mit einer entwickelten Idee verbunden und so konkretisiert. In der Spielanleitung ist das noch besser erklärt.

Den Gruppen war freigestellt, sich selbst durch das Spiel zu moderieren oder ein KI-Sprachmodell zu nutzen. Letzteres hatte den Vorteil, dass das KI-Sprachmodell im Prompt so instruiert war, jeweils eine spezifische Frage zur Phase und entwickelten Idee an die jeweiligen Perspektiven zu richten. Aus meiner Sicht hat das sehr gut funktioniert.

Ergebnisse

Viele Gruppen haben mir ihre Mitschriften zugesandt, woraus mit KI-Unterstützung diese Zusammenfassung entstand:

Ein Gruppenergebnis teile ich hier auch direkt, weil es so schön gestaltet ist und die Arbeitsweise in den Gruppen aus meiner Sicht sehr anschaulich macht:

Ein Mitschrieb aus einer Gruppenarbeit

Feedback und Anregungen zur Weiterentwicklung

Wir haben zum Abschluss ein schnelles Blitzlicht gemacht. Das Feedback war positiv – und ich habe mir drei hilfreiche Anregungen zur Weiterentwicklung des Konzepts mitgeschrieben:

  1. Die Darstellung der fünf Konzepte der Lernphasen fanden manche Teilnehmenden ziemlich „verkopft“ dargestellt. Vielleicht könnte man das bodenständiger und damit zugänglicher machen.
  2. Die fünf Konzepte der Lernphasen waren im Workshop nicht linear gedacht, aber trotzdem haben wir sie linear bearbeitet. Vielleicht könnte es helfen, ‚radikale Gegenwart‘ als Grundlage zu nehmen.
  3. Die heutigen 90 Minuten waren zu kurz. Am besten fände auch ich eine Ausweitung dieses Konzepts in eine Tagesveranstaltung – dann mit noch etwas mehr Austauschrunden. Das wäre aus meiner Sicht dann sehr passend für einen Pädagogischen Tag. Melde dich gerne, wenn du Lust hast, das mit deinem Kollegium mit mir gemeinsam auszuprobieren – oder setze es gerne auch selbst um. Ich freue mich in diesem Fall über Erfahrungsberichte.

(Außerdem mögen nicht alle Menschen basteln, so wie wir das zu Beginn mit den Zines gemacht haben. Da ich das konzeptionell sehr gerne mag, würde ich zukünftig einfach ein paar schon fertig gefaltete und geschnittene Zines mitbringen, sodass man nicht zum Basteln verpflichtet wird, wenn man das nicht will.)

Fazit

Ich hatte viel Freude dabei, den Workshop vorzubereiten und durchzuführen. Vielen Dank an alle, die ihn gemeinsam ausprobiert haben – und eine herzliche Einladung an alle, das Konzept, die Materialien und auch die entwickelten Ergebnisse weiterzunutzen, anzupassen und an ihnen weiterzudenken. Vielleicht hilft das ein bisschen dabei, endlich mehr das Lernen in der KI-Debatte in den Fokus zu nehmen!


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