Die Gestaltung guter Bildung ist herausfordernd. Mir hilft dabei, wenn ich bei der Konzeption und Umsetzung über fünf Fragen reflektiere, die ich im Folgenden teilen und erläutern möchte. Diese Fragen sorgen unter anderem dafür, dass ich mich selbst nicht zu ernst nehme, das Rad nicht immer wieder neu erfinde, über den Tellerrand blicke, Strukturen hinterfrage, Lernende ermächtige sowie trotz widriger Umstände ins Machen komme und auch andere dazu ermutige.
Frage 1: Was ist wichtig?
Die Frage „Was ist wichtig?“ hilft mir, Orientierung in meinem Tun zu finden. Das ist für mich besonders hilfreich, wenn ich mich in inhaltlichen Themen bewege, zu denen ich selbst einiges weiß, weil ich viel dazu arbeite. Dann liegt es nahe, so viel wie möglich dieses Wissens weiterzugeben. In solchen Situationen versuche ich mir dann ins Bewusstsein zu rufen, warum ich eigentlich pädagogisch arbeite. Die grundlegende Antwort darauf lautet: Ich bin pädagogisch tätig, weil ich Menschen befähigen möchte, für sich und andere, jetzt und in Zukunft ein gutes Leben zu gestalten. Mit diesem Leitbild vor Augen fällt es mir dann leichter, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sehr oft bedeutet das für mich, den Fokus in meinen Lernangeboten nicht auf das ‚Was?‘, sondern auf das ‚Wie?‘ zu legen.
Ein Beispiel dazu aus dem Bereich von Open Educational Resources (OER): Es gibt zu diesem Thema unwahrscheinlich viel, was rechtlich beachtet werden muss oder was man technisch lernen sollte, um Offenheit zu realisieren. Wenn ich mir aber die Frage stelle, was wirklich wichtig ist, dann steht an erster Stelle, dass Menschen praktische Erfahrungen mit dem Teilen machen können, dass sie von der Idee begeistert werden und dass sie anfangen, sich ein Netzwerk an offen-gesinnten Menschen aufzubauen, welches sie auch nach dem Lernangebot weiter trägt. Das wird kaum erreicht, wenn die Lernenden die meiste Zeit nur zuhören und von mir Input vermittelt bekommen – so entscheidend mir dieser Input auch erscheinen mag.
Frage 2: Was gibt es schon dazu?
Wenn ich etwas neu konzipiere, dann beginne ich meistens mit der Frage: „Was gibt es schon dazu?“ Denn eigentlich hat zu allen pädagogischen Herausforderungen schon einmal jemand etwas gemacht. Es ist deshalb weder nötig noch sinnvoll, das Rad immer wieder neu zu erfinden.
Im Kontext von digitaler Bildung hat mir diese Frage beispielsweise sehr dabei geholfen, zu erkennen, dass eine vielfach geforderte Lernkultur der Digitalität in vielen Aspekten mit dem identisch ist, was in der Reformpädagogik schon seit sehr vielen Jahren gängige Praxis ist. Es wäre fahrlässig, nicht auf so viel gesammeltes und erprobtes Wissen aufzubauen.
Die Frage nach dem, auf was man aufbauen kann, hilft auch dabei, nicht isoliert zu arbeiten, sondern direkt mit potenziellen Bündnispartner*innen vernetzt zu sein. Diese Erfahrung habe ich zum Beispiel im Kontext von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) oder Politischer Bildung gemacht. Ich bin auf zahlreiche Akteure mit viel Expertise gestoßen, die sich sehr freuen, wenn man mit arbeitet und dazu kommt.
Frage 3: Wie könnte das ganz anders gestaltet sein?
Routinen geben uns Orientierung. Zugleich sind wir in unseren Routinen immer auch ein bisschen gefangen. Denn oft sieht man vor lauter Routinen gar nicht mehr, wie etwas vielleicht auch ganz anders und besser gehen könnte. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Veränderung der Lernkultur. Wenn ich Ideen für selbstorganisiertes Lernen in Workshops oder Vorträgen vorstelle, dann bekomme ich oft zur Antwort, dass zur dazu erforderlichen individuellen Begleitung der Lernenden die Zeit fehle. Bei genauerem Hinsehen fehlt die Zeit dafür aber vor allem deshalb, weil die eigene Rolle als lehrende Person als die einer vermittelnden Person gedacht wird. Wer fast die ganze Stunde vorne vor der Klasse steht und etwas erklärt, hat natürlich keine Zeit, Lernende individuell bei ihren Lernprozessen zu begleiten. Wenn man Lernen aber ganz anders denkt, d.h. nicht im Sinne von Unterricht, dann wird die Aufgabe des Vermittelns plötzlich überflüssig. Zu so einem Weiterdenken kann die Frage „Wie könnte das ganz anders gestaltet sein?“ anregen. Sie lädt dazu ein, nicht nur auf das jeweilige Lernangebot zu blicken, sondern auch auf die Strukturen dahinter.
Frage 4: Wie kann ich Kontrolle abgeben?
Die oben skizzierte veränderte Rolle von Pädagog*innen bringt mich direkt zur nächsten Frage: „Wie kann ich Kontrolle abgeben?“ Das vorherrschende Bild von pädagogisch tätigen Menschen ist immer noch, dass sie Lernenden die Welt erklären. Tatsächlich bedeutet es aber, dass man Lernen gestaltet, begleitet und unterstützt. Die Frage nach dem Abgeben von Kontrolle erinnert mich bei der Konzeption von Lernangeboten genau daran. Ich stelle dann immer wieder fest, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, als lehrende Person Kontrolle abzugeben und gerade dadurch gutes Lernen oft überhaupt erst zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Frage nach der Abgabe von Kontrolle suche ich dann beispielsweise nach Methoden, wie Lernende sich ein Thema selbst erschließen, eigene Fragen entwickeln oder sich mit anderen austauschen und Peer-Feedback erhalten können.
Frage 5: Wie könnte es trotz alledem gehen?
Das Bildungssystem ist insgesamt betrachtet nicht in einem guten Zustand. An vielen Stellen fehlt es an zeitlichen und personellen Ressourcen, an Infrastruktur und an Offenheit für Neues. Sehr schnell kann das dazu verleiten, resigniert aufzugeben oder zumindest nichts Neues mehr zu versuchen. Dagegen hilft die Frage: „Wie könnte es trotz alledem gehen?“ Mit dieser Frage lenke ich den Fokus auf Ermöglichung statt auf Stillstand, Ablehnung und Blockade. Oft stelle ich dann fest, dass vielleicht nicht alles umsetzbar ist, was ich mir ursprünglich überlegt habe, aber dass durchaus viele erste, kleine Schritte möglich sind.
Zusammenfassung zum Weiternutzen
Die fünf dargestellten Fragen habe ich im folgenden H5P-Inhalt zusammenfassend dargestellt. Gerne kannst du ihn für dich weiter nutzen.
Hast du andere bzw. weitere Fragen, die dir bei der Gestaltung guter Bildung wichtig sind? Teile sie gerne. Ich freue mich, darüber zu lesen.
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