Ein Workshop mit einem Komposterde-Ansatz zur Veränderung der Prüfungskultur

Gestern war ich in Hildesheim, um mit Kolleg*innen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Kunst (HAWK) an Ideen zur Veränderung der Prüfungskultur im Kontext von KI zu reflektieren. Ich hatte mit den Kolleginnen vorab abgesprochen, dass wir einen ‚Komposterde‘-Ansatz verfolgen werden. Damit meine ich, dass wir nicht die bestehende Lern- und Prüfungskultur mit KI-Technologie noch weiter zementieren, sondern stattdessen neu denken. Wir wollten also, dass durch die in der KI-Debatte ausgelöste Bewegung, vergleichbar wie es aus Komposterde möglich ist, etwas Neues wachsen lassen.

Grundsätzliche Idee

Ich habe den Workshop ausgehend von der Formatspinne des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur und der Erweiterung von Regina Schulz gestaltet. Wichtig war mir allerdings, nicht schon einen fertigen Rahmen vorzugeben, sondern den Schwerpunkt des Workshops darauf zu legen, eigene Ausprägungen und Schwerpunkte zu definieren. Genau diese Reflexion habe ich im Ergebnis dann auch als sehr wertvoll erlebt.

Meine ‚Vorgaben‘

In Anlehnung an die Erweiterung der Formatspinne bei Regina Schulz auf Agency, Wellbeing und Transformation, habe ich eingeleitet, dass wir vier Dimensionen betrachten werden: prüfen, lernen, leben und gestalten.

  • Prüfen ist dabei der Ausgangspunkt vieler Lehrenden, die sich eben sehr oft überlegen, wie im Kontext von KI Prüfungen sinnvoll gestaltet werden können.
  • Lernen ist der eigentlich wichtige Ausgangspunkt. Denn gute Lernprozesse gehen immer von den Lernenden aus uns eine Veränderung der Prüfungskultur setzt eine Veränderung der Lernkultur voraus.
  • Leben zielt auf einen ganzheitlichen Blick auf Bildung. Lernende müssen sich wohlfühlen und mit ihren Bedürfnissen und Interessen einbringen können, so dass Lernen gut funktioniert.
  • Gestalten nimmt in den Blick, dass wir gesamtgesellschaftlich vor großen Herausforderungen stehen, die in Bildung und Wissenschaft nicht ausgeblendet werden können, sondern zu denen gemeinsam neue Antworten entwickelt werden müssen.

Zweitens habe ich die Bereiche der Formatspinne – Raum, Zeit + Prozess, Material + Hilfsmittel (diese beiden Kategorien hatte ich für mich schon zusammengefast), Aufgaben + Fragen, Sozialform, Lernprodukt und Feedback + Reflexion – als ersten Aufschlag eingebracht, den wir dann für uns diskutieren konnten.

Mit diesen beiden Setzungen war der Komposterde-Ansatz (insbesondere durch die Aufnahme von lernen, leben und gestalten) vorgegeben, sowie eine erste Struktur als Arbeitserleichterung vorhanden.

Vorgehen

Während des Workshops ging es nun – wie oben geschrieben – um die gemeinsame Reflexion dieses großen Rahmens und darauf aufbauend um die Entwicklung möglichst konkreter Ideen dazu. Wir sind dazu in mehreren Schritten vorgegangen:

Schritt 1: Einstieg mit Kartenaustausch

Ich hatte Fragen zu den vier Dimensionen auf Karten vorbereitet (Beispiel: Was geht schief im Kontext des Prüfens? Was ist mir wichtig bei der Dimension ‚Leben‘? …). Die Teilnehmenden tauschten sich in Zweier-Gesprächen dazu aus – und erhielten so zugleich eine erste Orientierung zu den Dimensionen.

Schritt 2: Nordsterne entwickeln

Anschließend fanden sich alle Teilnehmenden mit der gleichen Kartenfarbe (= gleiche Dimension) an einem Tisch zusammen und begaben sich zur Nordstern-Entwicklung zunächst in einen Kopfstand: Was wäre das Dümmstmögliche, was wir bei Prüfen, Lernen, Leben und Gestalten jeweils machen könnten? Von diesem Kopfstand war es dann leicht, abzuleiten, an was wir uns stattdessen orientieren wollen. Dazu sollten drei Begriffe / Hashtags aufgeschrieben werden. In einem Gruppenpuzzle konnten diese dann weiter qualifiziert werden.

Exemplarisches Ergebnis für die Dimension ‚Lernen‘

Schritt 3: Bereiche klären

Im nächsten Schritt verließen wir kurzfristig die Dimensionen und wandten uns den Bereichen zu. Alle Beteiligten erhielten eine Liste mit den Bereichen der Formatspinne des Instituts für Prüfungskultur – und wir machten uns gemeinsam an die Änderung, so dass es für unseren Kontext sinnvoll erschien.

Das hier war das Ergebnis:

Kollaborativ korrigierte ‚Aspekte‘-Liste

Schritt 4: ‚Wie können wir …?‘-Fragen ableiten

Im Schritt 4 brachten wir die entwickelten Leitbilder in den Dimensionen mit der überarbeiteten Aspekte-Liste zusammen, indem wir in den einzelnen Dimensionen zu jedem Aspekt jeweils fragten: Wenn wir uns an dem entwickelten Leitbild orientieren, was ist dann die Frage, d.h. wo wollen wir hinkommen? Zugleich überlegten wir uns die entsprechenden Ausprägungen, die damit dann verbunden wären.

Diese Aufgabe führte zu sehr intensiven und grundsätzlichen Diskussionen.

Ein Beispiel für eine Wie können wir .. -Frage in der Dimension Prüfen und dem Aspekt der Ressourcen – mit entsprechenden Ausprägungen

Auf dieser Grundlage entwickelte ich in der dann folgenden Mittagspause als ‚Zwischenergebnis‘ eine Formatspinne als Grundlage zur weiteren Reflexion.

Schritt 5: Mini-Barcamp

Im letzten Schritt ging es um die Konkretisierung: Die Idee war es, die entwickelte Formatspinne zur Diskussion der Themen der Teilnehmenden zu nutzen. Dazu sammelten wir zunächst die Themen und gestalteten einen Session-Plan. Danach gab es drei Runden mit je 3-4 Sessions parallel. Die Teilnehmenden konnten sich dann jeweils die Formatspinne vornehmen – und diskutieren, wie sie vor dem Hinblick des jeweiligen Themas die zuvor entwickelten Fragen beantworten würden. Dabei konnten sie entweder alles sehr oberflächlich diskutieren oder sich eine Dimension bzw. einen Aspekt wählen. Die Diskussionen wurden kollaborativ mitgeschrieben und können jetzt aufbereitet werden.

Fazit

Sehr gut geklappt hat bei diesem Workshop aus meiner Sicht die grundsätzliche Reflexion zu Beginn. Es sind dabei – wie ich finde – ziemlich gute Fragen entstanden, die nun zur weiteren Reflexion weiter genutzt werden können.

Nicht so funktioniert, wie ich es gehofft hatte, war die anschließende Übertragung – also der Übergang von Schritt 4 zu Schritt 5. Im Feedback wurde rückgemeldet, dass die Fragen oft eher störend waren bzw. nicht passten – und die Diskussion dann ‚einfach so‘ geführt wurden. Das ermöglichte dann zwar auch guten Austausch, aber war eigentlich nicht so gedacht und hätte dann ja auch einfach ohne die ganze Vorarbeit gemacht werden können.

Der ‚Fehler‘ lag hier glaube ich daran, dass wir eigentlich groß denken wollten, aber dann bei der Konkretisierung doch wieder überwiegend von bestehenden Formaten ausgingen. Also z.B. von der schriftlichen Hausarbeit. Sinnvoller wäre es hier wahrscheinlich, sich ein ganz konkretes Lernangebot vorzunehmen und sich darauf aufbauend zu überlegen, wie man es zukünftig gestalten will – und dann eben auch mit Blick auf alle Dimensionen, als nicht nur Prüfen, sondern auch Lernen, Leben und Gestalten. Dann wären die entwickelten Fragen glaube ich wertvoller, weil man mit mehr Offenheit diskutieren könnte.

In diesem Sinne möchte ich mit dem Workshop-Konzept sehr gerne noch weiter experimentieren. Denn es erscheint mir grundsätzlich als eine gute Möglichkeit, um in der Bildung grundlegender neu zu denken.

Wenn du den Ansatz auch weiter nutzen willst, wünsche ich dir dabei viel Erfolg und bin gespannt, von deinen Erfahrungen zu lesen.

Last but not least: Herzlichen Dank an die Beteiligten in Hildesheim für die Experimentierfreude und den schönen, gemeinsamen Tag!


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