3P-Modell: Gute Zusammenarbeit im Kontext von KI

In einer komplexen, sich schnell verändernden und digital geprägten Gesellschaft ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit zentral, um auf Basis vielfältiger Perspektiven gemeinsam Lösungen für Herausforderungen zu entwickeln. Anders als es vielleicht früher noch ausreichend war, kann diese Zusammenarbeit nicht mehr nur im Puzzle-Stil gestaltet werden: Wir teilen die Herausforderung in ihre Einzelteile auf, jede Person arbeitet ihren Teil aus, und am Ende setzen wir das Puzzle wieder zusammen. Denn erstens ist diese Form der Zusammenarbeit oft schwerfällig (= ein Puzzle-Teil fehlt, mehrere Puzzleteile sind so gestaltet, dass sie doch nicht mehr zusammenpassen, aus Versehen haben sich mehrere mit dem gleichen Teil beschäftigt und darüber wurde ein anderer Teil vergessen …) und zweitens immer begrenzt. Es kann nie mehr herauskommen als die Summe der Einzelteile. Unsere Herausforderung ist es aber gerade, neue Antworten zu entwickeln. Deshalb brauchen wir weniger eine Puzzle-Zusammenarbeit und mehr eine Jazzband-Zusammenarbeit: Hier ist die Interaktion geradezu die Grundlage dafür, dass mehr und Neues entsteht. Es gibt nicht eine geteilte Verantwortung, wie bei der Puzzle-Zusammenarbeit, sondern eine gemeinsame Verantwortung.

Text: Wie gestalten wir in einer ‘VUCA’-Welt Zusammenarbeit 
als ‘Jazzband’ und nicht als Puzzle? - und ein gekritzeltes Puzzle und Saxophon.
Von der Puzzle-Zusammenarbeit zur Jazzband-Zusammenarbeit

Als weiterer wichtiger Aspekt müssen wir seit gut zwei Jahren nun auch mit in den Blick nehmen, dass generative KI unsere Zusammenarbeit verändert.

  • Es entsteht eine neue Ebene der Zusammenarbeit zwischen Mensch und generativer KI. Diese Ebene gab es zuvor in dieser Form nicht.
  • Es entsteht eine veränderte Ebene bei der Zusammenarbeit zwischen Menschen. Denn – unabhängig davon, ob sie direkt zum Einsatz kommt oder nicht – weiß ich, dass meine Kolleg*innen sich für oder gegen KI-Nutzung entscheiden können und das auch tun werden. Und meine Kolleg*innen wissen das auch von mir. Das ist somit eine neue Herausforderung, die die Ebene der zwischenmenschlichen Zusammenarbeit verändert.
  • Es entsteht eine zusätzliche Ebene in der Zusammenarbeit, die sich auf originär menschliche Möglichkeiten und Fähigkeiten bezieht, die wir gerade im Kontext von generativer KI stärken wollen. Das ist eine Herausforderung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Neu: 
Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine
Anders: 
Zusammenarbeit zwischen Menschen angesichts von KI
Wichtiger: 
Zusammenarbeit zwischen Menschen trotz/ wegen KI
Drei Ebenen der Zusammenarbeit im Kontext von KI

Diese drei Ebenen werden mit dem 3P-Modell adressiert. Demzufolge ist erstens Prompting erforderlich, zweitens proaktive Transparenz und drittens Präsenz. Lass uns diese 3P genauer in den Blick nehmen!

P wie Prompting

Den Begriff Prompting benutze ich an dieser Stelle weniger im Sinne von Prompt Engineering, also mit dem Blick darauf, wie genau und mit welcher Technik ein Prompt formuliert sein muss, damit ich von einem KI-Modell eine möglichst gut passende Antwort erhalte. Vielmehr geht es mir grundsätzlich darum, wie wir als Menschen mit Maschinen zusammenarbeiten können.

Im Kern lassen sich hier drei Möglichkeiten unterscheiden:

  1. Ich kann ein KI-Modell zu etwas auffordern.
    Beispiel: Fasse mir diesen Blogbeitrag in fünf Thesen zusammen!
  2. Ich kann mit einem KI-Modell Ping-Pong spielen.
    Beispiel: Ich will einen Blogbeitrag zum Thema XYZ schreiben. Lass uns mal gemeinsam überlegen, wie ich vorgehen könnte.
  3. Ich kann mich durch ein KI-Modell herausfordern lassen.
    Beispiel: Ich teile mit dir Abschnitt für Abschnitt einen Blogbeitrag von mir. Du gibst mir zu jedem Abschnitt einen Vorschlag, was ich noch besser machen könnte.
Interaktion zwischen Mensch und Maschine

Noch weiter ausgearbeitet habe ich diese verschiedenen Zusammenarbeitsmechanismen zwischen Mensch und Maschine in einem Koordinatensystem, in dem ich die Achsen Asynchron/Synchron und Reproduktion/Kreation nutze. Dadurch ergeben sich vier mögliche Rollen eines KI-Modells in der Zusammenarbeit, speziell im pädagogischen Kontext:

  • KI kann Materialersteller*in sein.
  • KI kann Impulsgeber*in sein.
  • KI kann Lerntutor*in sein.
  • KI kann Spielpartner*in sein.
Koordinatensystem mit vier Rollen einer KI

Wenn wir die Herausforderung des Promptings gut meistern und in diesem Sinne zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit auf der Ebene zwischen Mensch und Maschine kommen, können wir damit unsere vorherigen, rein menschlichen Möglichkeiten erweitern. Insbesondere kann uns ein KI-Modell dabei helfen, in großen Datenmengen Verbindungen aufzuspüren oder diese zu systematisieren. Dieses Prinzip lässt sich mit einer Rolltreppe vergleichen, auf der wir mitlaufen. Anders als wenn wir uns einfach stehend nach oben fahren lassen würden, bleiben wir dabei aktiv beteiligt und bleiben gesund. Gleichzeitig sind wir schneller, als wenn wir nur selbst die Treppe hinauflaufen würden.

P wie proaktive Transparenz

Proaktive Transparenz als Herausforderung auf der Ebene der menschlichen Zusammenarbeit im Kontext von KI habe ich ausgehend von dem Konzept der Pre-Empathie (von Jöran Muuß-Merholz, siehe hier) entwickelt.

Pre-Empathie beschreibt den Grundsatz in der Zusammenarbeit, dass diese dann gut funktioniert, wenn ich antizipiere, was meine Handlungen bei meinem Gegenüber bewirken, und sie dementsprechend gestalte. Wenn ich mir zum Beispiel ein Eis kaufe, sollte ich antizipieren, dass die Eisverkäuferin zunächst den richtigen Behälter in die Hand nehmen muss, um meine Eiskugeln dort einzufüllen. Deshalb würde ich meine Eisbestellung nicht mit „Ich hätte gerne Schokolade, Vanille und Pistazie.“ beginnen, sondern pre-empathischer formulieren: „Ich nehme drei Kugeln in der Waffel: Vanille, Schokolade und Pistazie.“

Im Kontext von KI bedeutet Pre-Empathie, dass ich antizipiere, dass mein Gegenüber erstens vor der Entscheidung steht, KI-Modelle in unserer Zusammenarbeit zu nutzen oder auch nicht. Zweitens sollte ich berücksichtigen, dass mein Gegenüber ebenso weiß, dass auch ich vor dieser Entscheidung stehe.

Es kommt in der Zusammenarbeit zu Irritationen, wenn wir diese Realität ausblenden und nicht thematisieren. In solchen Situationen können sich Beteiligte leicht betrogen fühlen („Das hat doch bestimmt KI generiert!“) oder verletzt und nicht ernst genommen („Das ist doch totaler Quatsch. Das stammt bestimmt von einem KI-Modell. Was soll denn das?“). In jedem Fall besteht die große Gefahr von gegenseitigem Misstrauen, was Gift für eine funktionierende Zusammenarbeit ist.

Mögliche Irritationen bei der Zusammenarbeit im Kontext von KI

Stattdessen sollten wir den Grundsatz der proaktiven Transparenz umsetzen. Das bedeutet, dass ich ohne vorherige Aufforderung oder bevor es zu den ersten Unstimmigkeiten kommt, Raum für Reflexion über unsere KI-Nutzung (oder auch unsere bewusste Nicht-Nutzung) schaffe.

Operationalisierung von Pre-Empathie als proaktive Transparenz im Kontext von KI

In diesem Fall verändert sich die Dynamik: Anstatt misstrauisch aufeinander zu schauen und sich innerlich verletzt, betrogen oder nicht ernst genommen zu fühlen, können wir KI bewusst in unsere Zusammenarbeit integrieren. Das schafft erstens Raum für Erweiterungen und Vorarbeiten. Zum Beispiel, indem ich eine Liste mit zehn KI-generierten Vorschlägen teile und dazu anmerke, welcher Vorschlag mir warum am besten gefällt. Oder indem wir kollaborativ ein von KI generiertes Meeting-Protokoll korrigieren, um gemeinsam zu einem guten Dokument zu kommen. Zweitens eröffnet proaktive Transparenz auch einen Raum der Reflexion über die KI-Nutzung selbst. Wir können uns zum Beispiel fragen:

  • War es sinnvoll, wie wir KI hier verwendet haben?
  • War dieser Prompt hilfreich?
  • Gibt es ein besseres Modell, das wir hier einsetzen könnten?
Potentiale von proaktiver Transparenz

Auf diese Weise ermöglicht uns proaktive Transparenz eine gut funktionierende menschliche Zusammenarbeit, die die Potenziale von KI ausschöpft, anstatt zu einer Kultur des Misstrauens zu führen.

P wie Präsenz

Generative KI stellt uns vor die grundlegende Frage, was uns als Menschen eigentlich ausmacht – und welche originär menschlichen Fähigkeiten wir gerade im Kontext von KI gezielt stärken wollen.

Im pädagogischen Setting rückt besonders die unersetzbare Rolle der menschlichen Lehrkraft in den Fokus. Wenn KI als Lerntutor*in fungieren kann, was macht dann die Lehrkraft unverzichtbar? Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche Kompetenzen in Lernprozessen an Bedeutung gewinnen, wenn KI viele Herausforderungen schneller und effizienter bewältigt als wir. Wozu sollten wir dann überhaupt noch lernen?

Für mich liegt der zentrale Unterschied zwischen Mensch und KI in der körperlichen Intelligenz des Menschen – unserer Fähigkeit, durch direkte Interaktion mit der Welt Erfahrungen zu sammeln. Gerade in der Zusammenarbeit ist diese körperliche Intelligenz essenziell, weil sie uns die Fähigkeit zur Resonanz verleiht. Resonanz bedeutet, in einer Situation mitzuschwingen – eine tiefe Verbindung mit uns selbst, der Welt und anderen Menschen zu spüren. Ein solches Erleben bildet die Grundlage für unsere Intuition, die wiederum auf gesammelten Welterfahrungen aufbaut. Ich verstehe Intuition hier als einen nicht-bewussten Zugriff auf unser assoziatives Netzwerk, das sich durch unsere Erfahrungen ständig weiterentwickelt. Ein gemeinsames Welterleben in der Zusammenarbeit wird möglich, wenn wir uns an Präsenz orientieren.

Präsenz führt zu Welterfahrung

Eine Orientierung auf Präsenz kann auf verschiedene Weise geschehen. Besonders wichtig erscheint mir:

  • Sich auf eine Situation einlassen, anstatt nur einem vorgegebenen Plan zu folgen.
  • Ganzheitlich präsent sein und mit allen Gefühlen mitwirken.
  • Uns selbst, die Welt um uns herum und andere Menschen bewusst wahrnehmen.

Diese Präsenz eröffnet den Raum für gemeinsames Gestalten. Nur wenn wir wirklich präsent sind, können wir Anliegen entwickeln und verfolgen, die über eine rein funktionale Zusammenarbeit hinausgehen.

Fazit

Ich fasse das 3P-Modell wie folgt zusammen:

  • Mit Prompting menschliche Fähigkeiten erweitern!
  • Mit proaktiver Transparenz Vertrauen als Grundlage funktionierender Zusammenarbeit schaffen.
  • Mit Präsenz den Raum für gemeinsames Gestalten öffnen!
3P-Modell im Überblick

Für mich sind diese 3P sehr hilfreich zur Gestaltung von Zusammenarbeit im Kontext von KI. Ich hoffe, dass auch du einiges davon für dich mitnehmen kannst!

Der Blogbeitrag basiert auf dem Online-Lernangebot Kollaboration im Kontext von KI, das ich heute Vormittag für den Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz (VCRP) gestaltet habe. Die Inhalte sind hier auch als Mikro-Lerninhalt zum Weiterverwenden aufbereitet. Ich hoffe, damit das 3P-Modell auch all denjenigen zugänglich zu machen, die beim Lernangebot nicht dabei sein konnten. Wer teilgenommen hat, findet den Blogbeitrag vielleicht zur Vertiefung hilfreich.


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